Veröffentlichungen & Daten

Im Lockdown: Auswirkungen auf die Patientenversorgung  

Deutlich weniger stationäre Behandlungen bei der kardiologischen Versorgung

Die COVID-19-Pandemie hat in den Phasen des Lockdowns erhebliche Konsequenzen für die gesamte stationäre Versorgung in Deutschland. Laut einer Querschnittsstudie in 310 Kliniken – initiiert durch die Initiative Qualitätsmedizin (IQM) – sank die Zahl der stationären Behandlungen während des ersten Lockdowns im März / April 2020 über alle Indikationen hinweg um fast die Hälfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum1. Vor allem elektive Eingriffe wie PCIs bei Nicht-Infarkt-Patienten und Katheterablationen wurden deutlich seltener vorgenommen. Daten einer umfassenden Analyse der lokalen Gesundheitsämter im Bundesland Hessen weisen zudem auf eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität bei stationär aufgenommenen Herzpatienten im Frühjahr 2020 hin2. Laut einer bundesweiten Untersuchung in 310 Kliniken war die Zahl aller Krankenhausbehandlungen während des ersten Lockdowns (Zeitraum 13. März bis 19. April 2020) um 43,7% geringer als ein Jahr zuvor (294.622 vs. 514.284). Alle Leistungsbereiche der Krankenhausversorgung wurden seltener genutzt, selbst die Zahl der Notfallbehandlungen bei Patienten mit Herzinfarkt oder Schlaganfall hat sich um bis zu einem Drittel reduziertÅ. Die Beobachtungsstudie in 26 hessischen Kliniken unterstreicht diese Entwicklung: Im Zeitraum zwischen dem 23. März und 26. April 2020 war die Zahl der Herzkathetereingriffe um 35% geringer als im entsprechenden Vorjahreszeitraum (2.034 vs. 3.138 Patienten). Die Zahl der elektiven PCIs war fast um 45% reduziert (1.112 vs. 2.008), die Zahl der Eingriffe bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom um 18,9% (860 vs. 1.061) und mit NSTEMI um 25,3% verringert (560 vs. 750, p<0,001). Keine signifikanten Unterschiede gab es bei STEMI-Patienten (311 vs. 320). Bei Patienten, die während des ersten Lockdowns mit PCI behandelt wurden, war die Klinikmortalität erhöht (58/1.801 vs. 55/3.030, p=0,02)2.

Parallel dazu wurden in über 20 hessischen Kliniken die Todesfälle bei Herzpatienten (akutes und chronisches Koronarsyndrom, Wiederbelebung nach Herzstillstand) ausgewertet, die während des ersten Lockdowns eingeliefert worden waren. Die Zahl der Todesfälle war mit 5.984 geringfügig höher als in der Vergleichsperiode 2019 (5.832 Todesfälle) und wurde hauptsächlich durch COVID-19-Todesfälle verursacht. Signifikant erhöht waren die kardiovaskuläre Mortalität (kardialer Tod/Lungenembolie/Schlaganfall) – plus 7,6% vs. Vorjahreszeitraum (p=0,02) – und die kardiale Mortalität – plus 11,8% (p<0,001). Eine erhöhte Klinikmortalität bei Herzpatienten weise daraufhin, dass die Patienten möglicherweise zu spät ins Krankenhaus kommen, geben die Studienautoren um Professor Dr. Holger Nef, Kardiologe am Universitätsklinikum Gießen, zu bedenken. „Der Zugang zur kardiovaskulären Versorgung müsse dementsprechend während einer solchen Pandemie aufrechterhalten bleiben“, schreiben die Wissenschaftler2.

Drei Fragen an Prof. Nef, Stellvertretender Klinikdirektor & Leiter interventionelle Kardiologie am Universitätsklinikum Giessen:

Sehen Sie die Versorgung von Patienten mit akuten Herzerkrankungen aktuell als gefährdet?

Nein. Die Versorgung unserer herzkranken Patienten ist auch im Rahmen der Pandemie zu jeder Zeit gewährleistet und alle Krankenhäuser haben sich entsprechend eingerichtet. Allerdings konnte unsere Beobachtungsstudie zeigen, dass insgesamt weniger Katheteruntersuchungen insbesondere auch bei Patienten mit Herzinfarkt durchgeführt wurde. Gleichzeit konnte ein Anstieg der kardiovaskulären Mortalität festgestellt werden, was natürlich Fragen aufwirft und Sorgen macht.

Was sind die Gründe für die erhöhte kardiale Mortalität von Herzpatienten während des ersten Corona-Lockdown in Deutschland?

Mögliche Gründe können die Sorgen der Menschen sein, sich im Krankenhaus oder beim Arzt mit Corona anzustecken, andere wollten womöglich das Gesundheitssystem nicht zusätzlich belasten und sind daher auch bei ersten Warnsignalen zu Hause geblieben. Auch Überlastungen in ambulanten Versorgungsstrukturen könnten dazu beigetragen haben, dass Patienten verzögert eine kardiale Behandlung erhalten haben.

Welche Maßnahmen empfehlen Sie zur Optimierung der Versorgung von Herzpatienten während der COVID-19-Pandemie?

Zunächst ist es wichtig, Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko auch in Pandemie-Zeiten einen niederschwelligen Zugang zu einer akut-medizinischen Versorgung zu gewährleisten. Weiterhin erscheint eine intensive Patientenaufklärung hinsichtlich Warnsignale des Herzinfarktes besonders wichtig zu sein.

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Quellen:

  1. Kuhlen R, Schmithausen D, Winklmair C, Schick J, Scriba P: The effects of the COVID-19 pandemic and lockdown on routine hospital care for other illnesses. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 488–9. DOI: 10.3238/arztebl.2020.0489
  2. Nef H, et al. Impact of the COVID-19 pandemic on cardiovascular mortality and catherization activity during the lockdown in central Germany: an observational study. Clinical Research in Cardiology, epub 21. November. doi.org/10.1007/s00392-020-01780-0

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